Der Grossteil der von Ofri befragten Handwerksbetriebe sieht der Abstimmung Ende November gelassen entgegen: 62 Prozent rechnen mit keinerlei negativen Auswirkungen der KVI auf ihr Unternehmen. «Bei der Konzernverantwortungsinitiative geht es darum, dass Firmen wie Nestlé oder Glencore ihre Verantwortung im Ausland wahrnehmen und mit Raubbau, Naturzerstörung und der Ausnützung der lokalen Bevölkerung aufhören. Diese Initiative hat keinen Einfluss auf das lokale Gewerbe», meint etwa Simon Rüegsegger, Inhaber von Rüegsegger Energietechnik.
Doch nicht alle der befragten Handwerker teilen diese Ansicht. Während 27 Prozent zumindest von leichten negativen Auswirkungen auf ihren Betrieb ausgehen, rechnen elf Prozent sogar mit starken negativen Auswirkungen. Und das, obwohl über 90 Prozent der befragten Unternehmen weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigen – 48 Prozent sind Ein-Personen-Betriebe. Als konkrete Befürchtungen wurden etwa «steigende Preise für Material» und «administrativer Mehraufwand und Unsicherheit» genannt.
Offiziell heisst die Volksinitiative Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt. Trifft sie also nicht nur Konzerne, wie ihr landläufiger Name nahelegt? Sind die Sorgen der Handwerksbetriebe berechtigt? Daniel Sommer, Inhaber der Sommer Holzwerkstatt GmbH und Mitglied im Wirtschaftskomitee für verantwortungsvolle Unternehmen, versichert auf Nachfrage von Ofri: «Die Befürchtungen sind unbegründet. KMU sind von der Initiative ausgenommen und für sie ändert sich nichts.»
Vielmehr sieht er in der Initiative einen Gewinn für kleinere Unternehmen: «Als KMU unterstehen wir einer ganzen Reihe an Regulierungen, während sich global tätige Konzerne selbst über grundlegende Menschenrechte hinwegsetzten.» Die Initiative richte sich einzig gegen die verantwortungslosen Geschäfte von Konzernen wie Glencore oder Syngenta. «Unsorgfältig wirtschaftende Konzerne dürfen nicht länger einen Konkurrenzvorteil vor anständig wirtschaftenden kleinen Betrieben haben», betont Sommer.
# Hochrisiko-Sektoren und Back-to-back-Verträge – die KVI als Gefahr für KMUs?
Jan Riss von der IHK St.Gallen-Appenzell hingegen schätzt die Lage anders ein. Die KVI könne sich auch auf kleinere Unternehmen direkt auswirken: «Die Initiative trifft jene Handwerksbetriebe direkt, die Rohstoffe aus Sektoren beziehen, welche Umwelt- und Menschenrechtsrisiken bergen.» KMU seien laut Initiativtext zwar von der Sorgfaltsprüfungspflicht ausgenommen. Allerdings gelte das nicht für Risiko-Bereiche. Welche das seien, bestimme das Parlament im Umsetzungsgesetz. Laut IHK ist zu erwarten, dass darunter auch der Handel mit Rohstoffen wie Holz, Zement oder Metallen fallen wird. In diesen Bereichen gelte also auch für kleinere Handwerksbetriebe eine Sorgfaltsprüfungspflicht – und die umfasse im Gegensatz zur vorgesehenen Haftungsbestimmung nicht nur Tochterunternehmen oder abhängige Zulieferer, sondern die gesamte Lieferkette: «Stammen die Rohstoffe aus einwandfreier Quelle? Je nach Schärfe des Umsetzungsgesetzes müssten selbst kleine, verantwortungsvoll handelnde Betriebe stets bereit sein, diese Frage nachweislich mit Ja beantworten zu können.»
Insbesondere aber könne sich die Initiative für kleinere Unternehmen indirekt bemerkbar machen. Denn: «Grössere Unternehmen werden ihre Haftungsrisiken über sogenannte Back-to-back-Verträge an ihre Lieferanten abtreten.» Die Sorgfaltsprüfungspflicht ginge in diesem Fall also auf den Handwerksbetrieb über, selbst wenn es sich um einen Tiefrisiko-Bereich handle. Aufgrund der Marktmacht des grösseren Unternehmens könnten sich kleinere Betriebe derartigen Verträgen laut Jan Riss schwer entziehen.
# Parlamentarischer Gegenvorschlag räumt Befürchtungen bei vielen Handwerkern nicht aus
Ginge es nach den von Ofri befragten Handwerksbetrieben, wäre der Ausgang der Volksabstimmung ungewiss: 15 Prozent wollen für die Initiative votieren, 15 Prozent dagegen. 46 Prozent sind unentschieden oder machten keine Angabe und 24 Prozent wollen der Urne ganz fernbleiben.
Nicht alle der 38 Prozent, die sich von der KVI betroffen fühlen, sprechen sich also auch offen gegen die Initiative aus. Das mag möglicherweise daran liegen, dass 62 Prozent von ihnen ebenfalls negative Folgen für ihr Unternehmen erwarten, sollte die Initiative scheitern und der parlamentarische Gegenvorschlag in Kraft treten. Nach Einschätzung der IHK jedoch greife der Gegenvorschlag die Hauptanliegen der Initiative auf, «ohne die Schweizer KMU-Landschaft massiv und mit unklaren Auswirkungen zu treffen». Der Verein Konzernverantwortungsinitiative selbst hingegen kritisiert den alternativen Entwurf als wirkungslos hinsichtlich der Intention, Grosskonzerne zu verantwortungsvollerem Handeln zu zwingen.
Während sich Befürworter und Kritiker über die allgemeine Zielsetzung der Initiative – den Schutz von Umwelt und Menschenrechten – einig sind, gibt es hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf KMU also grosse Differenzen. Die von Ofri initiierte Umfrage spiegelt diese Uneinigkeit auch im Handwerk wider. Sollten die Schweizer die KVI Ende November annehmen, wird wohl erst ihre praktische Umsetzung zeigen, wer letztlich Recht behält.
# Die Online-Befragung der Handwerker wurde von Ofri im Oktober/November 2020 durchgeführt. An der Umfrage nahmen 110 Handwerksunternehmen aus der Deutschschweiz teil.
Das in Zürich ansässige Unternehmen Ofri betreibt seit 2011 ein unabhängiges Handwerkportal. Auftraggeber, wie Privatpersonen oder Verwaltungen, können auf dem Portal einen Auftrag erfassen und erhalten in der Folge mehrere Kostenvoranschläge von Handwerkern aus ihrer Region. Für Handwerker ist das Internetportal eine gute Möglichkeit, neue Aufträge und Kunden zu akquirieren. Das eigenfinanzierte Start-up konnte seit der Gründung das Auftragsvolumen jährlich steigern. Das Team besteht heute aus zwölf Mitarbeitern.