Management von Klimarisiken
Der Klimawandel hinterlässt auf drastische Art und Weise seine Spuren: Im Herbst hatte das Sturmtief Daniel in Libyen für heftige Überschwemmungen gesorgt. Die Erderwärmung hat die Wahrscheinlichkeit schwerer Regenfälle in diesem Land bis zu 50 Mal erhöht, in Griechenland bis zu zehn Mal – so eine Schnellanalyse der World Weather Attribution (WWA). Durch den Klimawandel würden Überschwemmungen in Libyen bis zu 50 Mal wahrscheinlicher, parallel nehme der Regen bis zu 50 Prozent zu. Ähnliche Zahlen gibt es auch zu Griechenland, Bulgarien und der Türkei, wo Überschwemmungen im vergangenen Jahr ebenfalls für Verwüstung gesorgt hatten. Derartige Ereignisse würden durch die zunehmende Erderwärmung bis zu zehn Mal wahrscheinlicher – einhergehend mit bis zu 40 Prozent mehr Regen.
Auch in Zentraleuropa prägen Naturextreme wie Hitzewellen, Trockenperioden, Orkane, Stark- und Dauerregen immer häufiger das Wetter. Mit diesen direkten Auswirkungen des Klimawandels sollten sich Wohnungsunternehmen aktiv beschäftigen, um sowohl im Risikomanagement als auch mit Blick auf ihre Baumaßnahmen gut gerüstet zu sein. Ein realistischer Weitblick ist also ein wichtiges Instrument zur eigenen Risikominimierung. Den Ansätzen zur Identifizierung und Erfassung von Risiken und Chancen klimabedingter Veränderungen sowie deren Bewertung hatte die Initiative Wohnen.2050 (IW.2050) daher ihr zweiteiliges Web-Seminar „Management von Klimarisiken“ gewidmet.
Für alle inzwischen deutlich spür- und sichtbar, bringt der Klimawandel dramatische Veränderungen in vielen Lebensbereichen mit sich. Insbesondere Extremwetterereignisse, verursacht durch den weltweiten Temperaturanstieg, aber auch langfristige Klimaveränderungen bergen Gefahren für Leib und Leben sowie Hab und Gut. Hohe Sachschäden stellen die Zivilgesellschaften mittlerweile nahezu täglich vor enorme Herausforderungen. Experten haben jüngst berechnet, dass klimawandel-bedingte Extremwetterereignisse von 2000 bis 2019 weltweit jährlich im Schnitt 140 Milliarden Dollar Verlust verursacht haben.
Von diesen Entwicklungen betroffen sind auch Bewohner:innen und Eigentümer:innen von Bestandsimmobilien. Auf mindestens 40 Milliarden Euro werden allein die Flutschäden des Jahres 2021 in Deutschland geschätzt. Damals besonders in Mitleidenschaft gezogen: Das Ahrtal in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Ein derartig desaströses Ausmaß könnte bis Mitte dieses Jahrhunderts rein rechnerisch fast jedes Jahr auftreten. Die zu erwartenden jährlichen volkswirtschaftlichen Folgekosten für den Zeitraum 2022 bis 2050 steigen somit immer stärker an und summieren sich geschätzt auf 280 bis 900 Milliarden Euro.
Die Initiative Wohnen.2050 (IW.2050) möchte ihre Partner motivieren, sich mit diesem Thema so früh wie möglich zu befassen und vor der Dimension dieser Aufgabe nicht zurückzuschrecken. Daher hatte sich der Zusammenschluss im Interesse seiner mittlerweile insgesamt 227 Partner diesem dringenden Thema zunächst in einer Pioniergruppe angenommen. Im Anschluss wurde in einem zweiteiligen Web-Seminar auf relevante Fragestellungen eingegangen. Neben Informationen zu den bereits bestehenden Möglichkeiten zur Ermittlung von unternehmensrelevanten Klimarisiken in der Branche, deren Integration in das vorhandene Risikomanagement sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen wurden schon im ersten Teil des Seminars den fast 100 Teilnehmern auch Wege möglicher Investitionsentscheidungen und geeignete vorbeugende Maßnahmen erläutert. Eine große Hilfestellung ist ein eigenes, von der IW.2050 entwickeltes niedrigschwelliges Bewertungswerkzeug, das allen Partnerunternehmen und Verbänden zur Verfügung steht.
Unternehmen reagieren auf Klimarisiken
Schon heute gehen bereits mehr als drei Viertel der deutschen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und fast 90 Prozent der Großunternehmen davon aus, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels wie extreme Wetterereignisse und der Umbau zu nachhaltigerem Wirtschaften auf die eigene Geschäftstätigkeit auswirken (Institut für Mittelstandsforschung, 2023). Auf die Zunahme von Klimarisiken reagieren viele deutsche Firmen – vornehmlich der Industrie – mit Standort-Verlagerung, erhöhter Lagerhaltung und baulichen Maßnahmen. Außer Letzterem ist dies allerdings keine Option für Unternehmen der Wohnungswirtschaft. Die notwendigen Anpassungen bieten sowohl auf Unternehmens- als auch gesamtwirtschaftlicher Ebene Chancen – u. a. in Form neuer Geschäftsmodelle. Ebenso sind auf den Gebieten der Energieversorgung und -nutzung oder in Bereichen nachhaltiger Beschaffungs- und Produktionsverfahren, wo wiederum die Kreislaufwirtschaft eine immer wichtigere Rolle spielt, zukunftsfähige Lösungen gefragt.
EU-Taxonomie und CSRD-Anforderungen
Wichtig zu wissen: Die Europäischen Union hat bereits Taxonomie-Kriterien auf den Weg gebracht, die auch das Thema Klimarisiken einschließen. Für zahlreiche Unternehmen besteht daher in Kürze auch ein regulatorisch vorgeschriebener Handlungsbedarf. Die verabschiedeten CSRD-Anforderungen (Corporate Sustainability Reporting Directives) sind für viele Unternehmen ab 2024 verpflichtend. Eventuelle finanzielle Auswirkungen müssen aus physischen und transitorischen Risiken sowie aus klimabezogenen Chancen inklusive eines Aktionsplans zur Anpassung an den Klimawandel vorgelegt werden. Ein frühzeitig in die Wege geleitetes Risikomanagement kann helfen, negative Veränderungen eines Umfeldes rechtzeitig zu erkennen und sinnvolle Vorkehrungen zu ergreifen. Gezielte Investitionen sind – je nach regionaler Ausprägung des Klimawandels – hilfreich, um mögliche spätere Schadenskosten zu reduzieren und im Idealfall die Verletzlichkeit des eigenen Gebäudebestandes zu verringern.
Gefährlich: schleichende Veränderungen
Klimabedingte Risiken werden prinzipiell unterschieden in Extremwettereignisse und schleichende Veränderungen. Zu Ersteren zählen kurzfristig und meist unvorhersehbar auftretende Hitzewellen, Dürre, Starkregen, Überschwemmungen, Sturm und Orkan. Sie führen meist zu sofortigen Beeinträchtigungen, die schnelles Handeln erfordern. Wie stark der Klimawandel sich bemerkbar macht, gefährliche Natur- und Wetterextreme in Zukunft tatsächlich auftreten werden und inwieweit ergriffene Maßnahmen diesen verlangsamen oder stoppen können, ist ungewiss. Denn: Alle Grundlagen beruhen derzeit noch auf Schätzungen und Verdachtsannahmen.
Zur Kategorie der schleichenden Veränderungen zählen steigende Temperaturen, Bodenversalzungen, Versauerungen der Meere, Abschmelzen der Gletscher, Verlust der Biodiversität, Desertifikation und der Anstieg der Meeresspiegel. All dies sind langfristige Prozesse, die jedoch bislang nicht bekannte Spätfolgen für den Gebäudebestand nach sich ziehen können. In der Folge halten neue operative und bauliche Prozesse Einzug in den wohnungswirtschaftlichen Alltag.
Dazu zählen beispielsweise Methoden wie das Soilfrac-Verfahren, das jüngst auch beim IW.2050-Gründungspartner, der Unternehmensgruppe Nassauischen Heimstätte I Wohnstadt (NHW), zum Einsatz kam: Anlass war ein Schrumpfvorgang infolge der ungleichmäßigen Austrocknung des Tonbodens durch Trockenstress großer Quartiersbäume. Dies verursachte Gebäudesetzungen bei einer Bestandsimmobile. Ein Bodengutachten bestätigte den klimabedingten Schaden. Zur Behebung wurde als stabilisierende Maßnahme das Soilfrac-Verfahren angewandt: Ventilrohre werden in den zu behandelnden Boden eingebaut, anschließend ein vorgegebenes Injektionsvolumen über dieses Ventil verpresst. So öffnen sich im Boden Fließwege (Fracs), in die das Injektionsgut eindringt und erhärtet. Durch mehrmalige Ausführen erfolgt eine Verspannung des Bodens.
Individuelle Maßnahmen konzipieren
Ende 2023 kamen interessierte Partner der IW.2050 zum zweiten Teil des Web-Seminars „Management von Klimarisiken“ zusammen. Dabei ging es um einheitliche, pragmatische und zukunftsorientierte Wege zur Ermittlung der individuellen Klimarisiken der Unternehmen. Erklärtes Ziel ist es, alle Teilnehmer:innen zu befähigen, mit einem eigens IW.2050-intern entwickelten Excel-Werkzeug nicht nur ihre Klimarisiken selbst zu ermitteln, sondern auch einen Maßnahmen-Katalog nebst Finanzierungsplan zu erstellen. Eine gezielte Abfrage von Daten der Bestandsgebäude sowie der Grundstücke ermöglicht eine fundierte Klimarisiko-Analyse. Das Ergebnis veranschaulicht die relevanten Klimavariablen und die Auswirkungen klimabedingter Veränderungen auf die Wertschöpfungskette. Hinzu kommt eine Kategorisierung der Auswirkungen als positiver Impact (Chance) oder negativer Impact (Risiko), eine Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit und des Schadensausmaßes. Zudem ist es Ziel der Auswertung, eine individuelle Beschreibung möglicher Gegenmaßnahmen (Risiko) bzw. Realisierungsmaßnahmen (Chance) sowie eine Bewertung des Restrisikos vorzunehmen.
Pionierarbeit und Erfahrungswerte
Mit der Bewertung physischer Risiken in Folge des Klimawandels beschäftigt sich Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen Vonovia SE bereits seit geraumer Zeit. In circa 64.000 Gebäuden verwaltet der Konzern rund 550.000 Wohneinheiten in Deutschland, Österreich und Schweden. Alle Standorte wurden beim Klimarisiken-Reporting eingebunden. Für eine systematische Analyse erstellte das Unternehmen ein eigenes umfassendes Klimarisiko-IT-Tool (KRT), das die EU-Taxonomie-Kriterien bereits berücksichtigt. Ziel der Erhebung war es, eine eindeutige Bewertung für die Ausprägung der relevanten Klimagefahren in verschiedenen Szenarien für jedes Gebäude zu erhalten. Ebenso sollten bereits erfolgte Anpassungsmaßnahmen ausgewertet werden. Das KRT berücksichtigt die Klimaszenarien, die vom IPCC (Intergovernmental Panel for Climate Change) vorgegeben werden. Sie zeichnen sich durch unterschiedliche Grade der Treibhausgas-Konzentration aus, die mit unterschiedlichen Temperaturanstiegen einhergehen. Deren Bandbreite reicht von circa 1,5°C bis über 4°C. Alle genutzten Daten stammten aus öffentlich verfügbaren Quellen und sind bis auf die Ebene von Landkreisen – teilweise sogar weiter – zurückzuführen. Betrachtet wurden im Modell drei verschiedene Zielzeitpunkte: 2030, 2045 und 2085.
Fachbereiche umfassend einbeziehen
Die Erfassung der Daten half dem Unternehmen individuelle Klimagefahren wie sie durch Hitze und lokalen Temperaturanstieg, Trocken- und Dürre-Perioden, Niederschlag und Starkregen/Hagel, Schneelast, Starkwind/Sturm sowie Überflutung und Hochwasser entstehen können, zu ermitteln. In der Bewertung erfolgte dann die Darstellung des sogenannten Exposure. Hier wurde vermerkt, wie stark die Ausprägung des jeweiligen Klimatreibers ist. Zudem wurde die Vulnerabilität des Gebäudes bzw. Quartiers dargestellt. Die Basis zur Bestimmung derselben ergibt sich aus dem Gebäudewert (Sollmiete) und den bereits vorhandenen Anpassungskapazitäten (beispielsweise Maßnahmen zur Hitze-Minderung: externe Sonnenschutz-Vorrichtungen wie z. B. Jalousien oder Rollläden, Gründächer oder Fassaden-Begrünungen, hoher Baumanteil auf dem Grundstück etc.). Beide Dimensionen – Gebäudewert und vorhandene Anpassungskapazitäten – wurden dann auf vier qualitative Risikokategorien von gering, mittel, hoch bis extrem verteilt und ein Gesamtrisiko ermittelt. Das KRT verknüpfte auch vorhandene Gebäudemerkmale und Grundstücksdaten aus verschiedenen internen Datenbanken. Sowohl in der Konzeption als auch in der Plausibilisierung wurden verschiedene Fachbereiche einbezogen: Portfolio-Management, technische Bereiche, Wohnumfeld-Service, Development wie auch Risikomanagement.
Quartiersentwicklung ist neu zu denken
Die Gestaltung des Wohnumfelds und der Freianlagen hat beim Bewerten der Klimarisiken ebenfalls eine hohe Bedeutung, da hier sowohl signifikante Schäden als auch das Klima positiv beeinflussende Komponenten vorhanden sein können: Bäume und Pflanzen spenden Schatten und verhindern das Aufheizen von Gebäuden. Auf ihrer Oberfläche erzeugten sie Verdunstungskälte, die für zusätzliche Abkühlung gesorgt. Eine gut durchdachte Bepflanzung ist daher ein wichtiger Hebel für ein klimaresilientes Quartier – wenn auch kostenintensiv durch Pflege und Bewässerung.
Die Gesamtbetrachtung der KRT-Analyse ergab für Vonovia, dass, abhängig vom Szenario, im Bestand auf Gebäudeebene ein hohes Risiko bestehen kann. Auf der Ebene des Gesamtportfolios ist jedoch für das Szenario RCP4.5 – insbesondere für den Zeitraum bis 2030 – nicht mit signifikanten negativen Auswirkungen zu rechnen. Der Konzern führt die Bewertung der physischen Klimarisiken mindestens einmal jährlich durch. In einem neu definierten End-to-End-Prozess für die Quartiersentwicklung werden die Ergebnisse in den ersten Phasen der Konzeptionierung mit eingebracht. Entsprechende bauliche Maßnahmen können so schon früh mitgedacht werden. Seine umfassenden Erfahrungen bringt das Unternehmen als Partner der IW.2050 auch in der Pioniergruppe „Management von Klimarisiken“ mit ein. Wesentliche Erfahrungen und Aspekte sind darüber auch in die Entwicklung des Initiative.Wohnen.2050-Erhebungstools eingeflossen, welches seit Sommer dieses Jahres allen Partnern zur Nutzung zur Verfügung steht.
Die Initiative Wohnen.2050 (IW.2050) ist ein bundesweiter Branchen-Zusammenschluss. Ihr Ziel: Die CO2-Emissionen der teilnehmenden Unternehmen gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen so zu minimieren, dass das globale Kleiner-Zwei-Grad-Ziel eingehalten wird. Die Initiative versteht sich als Unterstützer der Wohnungsunternehmen und ihrer Verbände zur Erreichung der Klimaziele – aus der Branche für die Branche. Unter den 215 Unternehmenspartnern (Stand Januar 2024) sind sieben der zehn größten Wohnungsunternehmen in Deutschland. Zwei von ihnen haben es sogar als erste deutsche Wohnungsunternehmen in das Ranking der „Europe’s Climate Leaders 2023“ der Financial Times in der Kategorie „Property“ geschafft: die Unternehmensgruppe NHW und die Vonovia SE. Insgesamt vereinen alle Gesellschaften der IW.2050 über 2,1 Millionen Wohneinheiten, die bis 2045 klimaneutral entwickelt werden sollen. Weitere 12 Institutionelle Partner sind die Hochschule EBZ Business School, der Spitzenverband GdW – Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen sowie die Regionalverbände VdW südwest, VdW Rheinland Westfalen, VSWG – Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften, vdw Sachsen, VdW Bayern, VdW – Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Niedersachsen und Bremen, vbw Baden-Württemberg, der VNW – Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, der BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen und der vtw – Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft e. V.. Mehr Informationen zur Initiative Wohnen.2050 unter: www.iw2050.de, twitter.com/Wohnen2050, https://www.linkedin.com/company/initiative-wohnen-2050-e-v und www.youtube-nocookie.com/channel/UCd9Amq_dwa53i9xXFEJK8BA
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