Langzeitfolgen von COVID-19: Nachfrageboom auf der einen, massive Lieferengpässe auf der anderen Seite
Darmstadt, 2. Dezember 2021 – Der Markt für Medizintechnik hat in den letzten zwei Jahren gewaltige Umbrüche hinter sich: Zuerst sorgte COVID-19 für eine weltweite Zwangspause. Nun bremsen Rohstoffmangel, Lieferengpässe und hohe Frachtkosten die Branche aus. Was erwartet den Medizintechnikmarkt 2022? Das Healthcare und Life Sciences-Team des EMS-Dienstleisters Plexus hat Hersteller zu den Herausforderungen und Chancen des nächsten Jahres befragt.
Der globale Engpass bei den Halbleitern trifft momentan fast alle Branchen – und wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit noch bis 2022 und 2023 hinziehen. Die Chips sind aber nicht das einzige Problem. Auch andere Rohstoffe und Vorprodukte wie Stahl, Aluminium, Kunststoff und Holz sind rar. Für Hersteller und Zulieferer handelt es sich mehr als nur um Unterbrechungen der Lieferkette. Viele rechnen mit einem immensen finanziellen Schaden – wenn nicht sogar mit dem Geschäftsaus.
Ein proaktives und vorausschauendes Supply Chain Management gehörte bereits im letzten Jahr zu den Top-Prioritäten. Im nächsten Jahr wird diese Aufgabe zur Überlebensfrage. Vorlaufzeiten haben sich geändert und müssen zukunftssicher geplant werden. Es gilt, Optionen bei Nichtverfügbarkeit von Komponenten zu evaluieren – von “Drop-in-Ersatzteilen” bis zu kompletten Re-Designs. All das setzt ein hohes Maß an Agilität und Weitsicht voraus. Zu den wichtigsten Entscheidungen, die Medizingerätehersteller jetzt treffen, gehört der Einsatz von Predictive Analytik-Tools, der Ausbau ihres Zulieferernetzwerks sowie die Implementierung eines Design-for-Supply-Chain(DfSC)-Ansatzes, der die Lieferkette bereits in der Entwicklungs-Phase berücksichtigt.
In der Labordiagnostik hat COVID-19 zwei brennende Fragen aufgeworfen: Wie kann das Testen und Analysieren lokal durchgeführt werden? Und wie lässt sich die Analyse beschleunigen? Molekulardiagnostische Systeme (MDx), die eine schnelle Diagnostik am Point-of-Care (POCT) ermöglichen, erleben angetrieben durch PCR-Tests einen Boom.
Das hohe Innovationstempo bei Laborgeräten setzt sich 2022 fort. Umso wichtiger ist es für Unternehmen im Bereich Diagnostik und Life Science auf entsprechende Partner bei der Entwicklung und Fertigung zu setzen. Sie bringen das nötige technische Know-How mit, um komplexe Geräte und System zeitnah auf den Markt zu bringen und Compliance-Anforderungen zu erfüllen. Dabei geht es vor allem darum, die Partner flexibel abrufen zu können und komplementär zur in-house vorhandenen Expertise ins Team zu integrieren. Klappt das, lassen sich Nachfragespitzen und Krisen zukünftig besser abfedern.
Einzelne Bereiche der MedTech-Branche sind noch immer stark von der Coronakrise betroffen, darunter der Bereich der elektiven Eingriffe. Viele Operationen müssen erneut verschoben werden. Das wirkt sich zwangsläufig negativ auf die Auftragsbücher von MedTech-Unternehmen aus. Im nächsten Jahr wird hier eine Besserung erwartet. Beim Hochfahren der Produktion müssen Hersteller verstärkt auf externe Ressourcen zurück greifen. Das Outsourcing umfasst dabei nicht mehr nur die Fertigung, sondern schließt auch die Entwicklung (Design-for-Manufacturing), das Supply Chain Management sowie Aftermarket-Services ein.
Der Markt für KI im Gesundheitswesen soll bis 2028 um das Zwölffache wachsen – von 10,6 Mrd. US-Dollar auf 120,2 Mrd. Die Entwicklung und Integration von moderner Datenanalytik und Machine Learning (ML) in medizinische Geräte sowie in den Produktionsanlagen selbst nimmt kontinuierlich zu. Damit rückt zukünftig ein neuer Aspekt in den Mittelpunkt: Die KI-Compliance. Gesetzliche Regelungen zum Einsatz von KI-gestützten Anwendungen sind bereits im Entstehen. Die FDA veröffentlichte 2021 einen Aktionsplan für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen. Auch die EU-Kommission hat dieses Jahr einen ersten Gesetzesentwurf zu KI vorgelegt, der die rechtlichen Rahmenbedingungen von KI-Anwendungen festlegen soll. Für den Gesundheitswesen und in der Medizintechnik sollen dabei besonders strenge Kriterien angelegt werden. Medizingerätehersteller sind gut beraten, diese Entwicklungen im Auge zu behalten und wenn nötig einen Partner mit der nötigen Compliance-Expertise ins Boot zu holen.
Das Thema Cybersicherheit gewinnt in jeder Branche an Dringlichkeit, trifft Medizingerätehersteller jedoch gleich mehrfach: Zunächst gilt es, die Intellectual Property zu schützen – insbesondere, wenn Produkte zur Fertigung außer Haus gegeben werden. In der Produktion selbst heißt es, Anlagen und Standorte vor Cyberattacken wie Ransomware abzusichern. Und schließlich müssen Hersteller als Inverkehrbringer die Cybersicherheit ihrer medizinischen Geräte am Markt garantieren. Probleme machen dabei vor allem Legacy-Produkte, die dringend an neue Standards angepasst werden müssen.