Der EMS-Dienstleister Plexus hat Hersteller von Medizinprodukten zu den Herausforderungen und Chancen des nächsten Jahres befragt
Darmstadt, 11. Januar 2022 – Was erwartet den Medizintechnikmarkt 2023? Das Healthcare und Life Sciences-Team des EMS-Dienstleisters Plexus hat Hersteller zu den Herausforderungen und Chancen des nächsten Jahres befragt.
Selbst wenn sich die Lage bis Ende 2023 entspannen sollte – die Supply Chain hat sich unwiderbringlich verändert. Dementsprechend fieberhaft suchen Hersteller nach neuen Strategien, um ihre Wertschöpfungskette wiederstandsfähiger zu machen. Während manche Unternehmen eigene Safety Stocks aufbauen, holen andere ihre Produktion gleich ganz in die Heimat zurück. Immerhin 86% der deutschen Unternehmen hegen Pläne zum Nearshoring bzw. Re-Shoring ihres Geschäfts.
Die MedTech-Branche steht hier im nächsten Jahr vor schwierigen Entscheidungen. Der Aufbau von lokalen Lagern und Fertigungskompetenzen setzt hohe Investitionen voraus. Andererseits lässt sich durch den Einsatz von KI, IoT und Robotik der Automatisierungsgrad sowohl im Warehouse als auch in der Produktion verbessern und damit kosteneffizienter arbeiten. In vielen Fällen werden Medizingerätehersteller die Fertigung noch stärker in die Hände von externen Partnern geben, um sich des Sorgenkinds Supply Chain so gut es geht zu entledigen.
Auch die MedTech-Branche sucht händeringend nach Personal. Der Fachkräftemangel wirkt sich jedoch auch positiv auf das Geschäft aus: Denn überall dort, wo Aufgaben automatisiert werden können, sind Unternehmen bereit, in entsprechende Lösungen zu investieren. Ein Paradebeispiel ist hier die Labordiagnostik.
Neben Point-of-Care(POCT)-Lösungen steigt die Nachfrage nach effizienten und leitungsfähigen Systemen zur Automatisierung. Die Produkte sollen schneller und über längere Zeiträume hinweg zuverlässig und selbständig arbeiten. Laboranten handhaben oft mehrere Geräte gleichzeitig, was eine einfache Bedienbarkeit voraussetzt. Ferngesteuerte Robotiksysteme erlauben es zudem, sensible Arbeitsschritte aus sicherer Entfernung durchzuführen und so Kontaminationen sowie zeitaufwändige Sicherheitsvorkehrungen zu minimieren (z. B. Anlegen der Schutzkleidung und Transfer der Reinraumschleuse). Die Vorgaben auf Herstellerseite sind damit klar: hoher Automatisierungsgrad, sichere Konnektivität der Endgeräte sowie User-Centered Design (UCD) bei der Entwicklung.
Das Innovationstempo legt im nächsten Jahr noch einmal einen Gang zu. Bereits während der COVID-19 Pandemie bewiesen Hersteller von Beatmungsgeräten und Labordiagnostik, wie sich medizinische Elektronikgeräte schnell, sicher und Compliance-konform auf den Markt bringen lassen. Diese Erfahrung hat die Branche geprägt und die Messlatte nach oben verlagert. Die Rekordgeschwindigkeiten können Hersteller jedoch nur erreichen, wenn sie neben umfassenden Erfahrungen im Engineering auch über agile Ressourcen verfügen. Die Zusammenarbeit mit externen Partnern beschränkt sich dabei nicht mehr auf die Fertigung, sondern auch auf das Design und Entwicklung, die Supply Chain und die Compliance.
Das Thema Nachhaltigkeit geht auch an der Medizintechnik nicht vorbei. Laut einer Umfrage erkundigt sich bereits jeder dritte Kunde aktiv nach dem ökologischen Fußabdruck von Medizinprodukten. Neben der Verpackung, nachhaltigen Materialien sowie der umweltgerechten Entsorgung bzw. Recycling gehören in Zukunft auch kurze Transportwege sowie Energieeffizienz in den Auswahlkatalog. Hersteller werden hier in den nächsten Jahren verstärkt in sogenannte „Sustaining Services“ im Aftermarket investieren müssen, um sowohl gesetzliche Vorgaben (Stichwort: Lieferkettengesetz) als auch dem wachsenden Umweltbewusstsein ihrer Kunden und Mitarbeitern gerecht zu werden.
Der KI-Anteil in der modernen Medizintechnologie legt auch im neuen Jahr zu. Vor allem im Zusammenhang mit bildgebenden Verfahren (Imaging) verspricht das Machine Learning (ML) echte Unterstützung bei der Auswertung und Diagnosefindung. Noch unterstützen die Geräte wie bei der Venenpunktion lediglich den Scanvorgang. Zukünftig könnten die Roboter jedoch anhand von Bilddaten trainiert werden und zum Beispiel die Blutabnahme bei Patienten anwenderunabhängig durchführen. Auch bei der robotergestützten Chirurgie und beim Patientenmonitoring ist das Einsatzpotential von ML-Algorithmen hoch.
Voraussetzung dafür ist ein entsprechend großer Datenkontext sowie klar definierte Regeln, um ethischen Standards gerecht zu werden. Noch diskutiert die EU über den Artificial Intelligence Act (kurz: AIA). Die Gesetzesvorlage soll einen einheitlichen Rechtsrahmen für KI schaffen, wirft jedoch auch Fragen hinsichtlich der Haftung sowie des Schutzes des geistigen Eigentums auf. Neben dem nötigen KI Know-how werden Medizingerätehersteller hier zwangsläufig auch ihre Compliance-Expertise ausbauen oder einen entsprechenden Partner mit ins Boot holen müssen.
Das Gesundheitswesen steht schon seit langen im Visier von Cyberangreifern. Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen tun sich jedoch schwer, die nötigen Sicherheitsmaßnahmen in der Praxis umzusetzen. Mit Inkrafttreten des IT-Sicherheitsgesetzes 2.0 hat sich der Druck hier deutlich erhöht und wird – zumindest was den Cyberschutz der Medizinprodukten angeht – unmittelbar an die Hersteller weitergegeben. Zwar ist die IT-Sicherheit ohnehin fester Bestandteil der MDR. Der Arbeitsaufwand für die Beantwortung von Fragenkatalogen, Formularen und Checklisten bei Ausschreibugen nimmt jedoch zu. Neben Risikobewertungen, Datenschutzvorkehrungen und Datensparsamkeit in der Entwicklung (Privacy by Design), reiht sich zukünftig auch die Software-Stückliste (Software Bill-of-Materials, SBOM) auf der To-Do-Liste von Herstellern ein.